Eurothalia

20–30.09.2023 - Wir sehen uns im Herbst!

Blog

Wie schön die Welt doch ist!

Chronik von Elena Jebelean

Die szenische Lesung Sidy Thal – ein Schtikl aus der Synagoge in der Innenstadt führte uns in eine Vergangenheit, an die wir uns immer wieder erinnern müssen, denn das Gedächtnis funktioniert wie ein Reflektor, der vor der Möglichkeit warnt, die Alarmzeichen nicht rechtzeitig zu erkennen. Alles was gegen, wie auch pro ist, muss rigoros und kritisch geprüft werden. Wie könnte die Welt von heute von Ideologien geblendet werden? Mangel an Zivilisation, an Kultur, Unwissenheit bestehen alle gleichzeitig mit ihren Gegensätzen in der gleichen Umgebung. Neue Bomben explodieren in unserer Nähe, der Exodus von Migranten verstärkt die Spannungen zwischen den Rassen in Europa. Die Welt, in der wir leben, ist weit entfernt von Weisheit. Es wäre gut, dass, wenn die Musen sprechen, das Klirren der Waffen aufhören und die Entdeckung dieses Ausdrucks wir sind doch Menschen die verschiedenen Feindseligkeiten zähmen würde.

Thomas Perle ist es, der uns durch diese Koproduktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar mit dem Jüdischen Staatstheater Bukarest ein tragisches Ereignis in der Geschichte der Zwischenkriegszeit Temeswars vor Augen führt. Dieser Angriff wird bemerkenswert von Alexandru Potcoavă in Das Leben und die Rückkehr eines Halle (2019) beschrieben, einem Roman, der bereits in unser kulturelles Bewusstsein eingedrungen ist. Thomas Perle erfrischt die Fakten, nuanciert sie aus mehreren dramatischen Stimmen. Die Show der Czernowitzer Künstlerin Sidy Tahl am 26. November 1938 wurde statt einem Anlass zur Freude zu Kaddisch und Gedenken. Zwei handwerkliche Granaten explodierten dann im Saal des Gemeinde+

theaters in Temeswar und zielten auf das Publikum ab, das hauptsächlich aus Juden bestand. Die Künstlerin lebte bis 1983, nicht sie war Ziel der Attacke. Abgesehen hatte man es auf die Zuschauer, wie in einem Echo des Nazi-Antisemitismus, der sich bereits in Deutschland durch die Schändung von Synagogen und die Misshandlung von Juden materialisiert hatte. Das Attentat von Temeswar wurde von Mitgliedern der Eisernen Garde geplant und durchgeführt. Vier Menschen starben, etwa 70 wurden verletzt. Das Ereignis erschütterte das Vertrauen in die Normalität, in die Achtung des Andersseins, in das friedliche und ruhige Leben, das für die Menschen jeder Ethnie in Temeswar charakteristisch war.

Und jetzt Vorhang auf! Ein Vater zeigt seinem achtjährigen Sohn das Theater, in dem dies einst geschah. Der Sohn hört aufmerksam zu, aber vor den weißen Toren in der Mitte der Stadt scheint er die Bedeutung der beschriebenen Situationen noch nicht zu verstehen. Dann führt uns der Zeitsprung zu einem Paar, das zum Theater geht, wo die betreffende Vorstellung stattfinden wird. Sie sind zukünftige Opfer. Der Herr ist Anwalt, aber seine Lizenz ist bereits wegen seiner Zugehörigkeit ausgesetzt. Besorgt über den Lauf der Welt, würde er zurückweichen, er hat eine Vorahnung der Gefahr, aber seine Frau besteht darauf, sie ist entschlossen, ihn dazu zu überzeugen, sich der Gelegenheit zu erfreuen, einer Sängerin wie der wunderbaren Sidy, die so geschätzt wird, zuzuhören. Dann wird eine Tagebuchsequenz gelesen, Der israelische Kurier – in den Ereignissen in der ganzen Welt können immer besorgniserregender harte Zeiten erkannt werden. Das Wort übernimmt der Platzanweiser, ein gewissenhafter junger Mann, der zuerst die Eleganz und die gute Laune der Zuschauer genießt, die er zu ihren Plätzen auf dem Balkon führt, dem Bereich, der ihm für die Betreuung an diesem Abend zugewiesen wurde. Während er die Menschen ansieht, ruft er aus: Wie ist die Welt doch schön! Er ahnt die Barbarei des Mannes, der nach Schnaps riecht, aber er führt ihn trotzdem an seinen Platz, wie es sich gehört. Denn in dieser Welt, die immer noch schön scheint, entweder im Theater oder außerhalb, hat jeder seinen rechtmäßigen Platz, jeder hat einen Platz. Die Künstlerin ist bereit, auf die Bühne zu kommen, wir spüren ihre Leidenschaft für Kunst, die jede potenzielle Gefahr beseitigt. Wir müssen singen, wir müssen spielen! sagt sie. Wer soll das tun, wenn nicht wir? Wer entscheidet für uns, wenn wir schweigen? Alles wird hektisch, das Unvermeidliche geschieht. Die Amphore, in der der gute Wein altern sollte, bricht zusammen, ebenso wie die Illusion, dass die Stadt jemals wieder dieselbe sein könnte, dass die Menschen in Sicherheit sein könnten.

Der Kontrabass und das Klavier unterstützten die Spannung des Spiels musikalisch. Ich sage Schauspielerei, denn das war mehr als nur eine szenische Lesung. Der Zusammenbruch der Künstlerin auf den Tasten, mit einer doppelten Nachhallfunktion – der Unterbrechung der Musik, der Harmonie, der Kunst sowie der Hervorhebung des Falls, der Zerschlagung der Zivilisation durch Aggression, durch Barbarei. Die Bewegung der Schauspieler umhüllte uns. Ihre Stimmen hallten von überall her, um uns herum, in uns. Ihre Gesten und Gesichter beobachtend, ihre Stimmen hörend, die Schwingungen des Gehens wahrnehmend, spürte ich noch lange Zeit danach, dass wir, diejenigen, die zusahen, und sie, die erzählten und sangen, dasselbe Bewusstsein, dieselbe Erinnerung, dieselbe Hoffnung, denselben Glauben darstellen.

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„Theaterchronik @ Eurothalia“ ist ein von Daniela Șilindean gemeinsam mit dem Team des Deutschen Staatstheaters Temeswar konzipiertes Programm im Rahmen des Europäischen Theaterfestivals Eurothalia 2023, das vom 20. bis 30. September 2023 stattgefunden hat und durch das Nationale Kulturprogramm Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023 gefördert wurde.