Chronik von Raoul Horn
Der Domplatz war viel geeigneter als jeder andere für diese Vorstellung. Die Fassaden, die großen Pflastersteine, das rechteckige Erscheinungsbild des gesamten Platzes tragen dazu bei und schienen der Vorführung Reiten eine lebendigere Nuance zu verleihen, als damals, als ich die Aufführung zum ersten Mal im Münchner Olympiapark gesehen habe.
Ich hatte jedoch den Eindruck, dass etwas verändert war, sobald man den Domplatz betrat. Man hatte das Gefühl, dass sich das Tor des Barockpalastes für dieses mechanische Pferd geöffnet hatte, und, nachdem es sich daran gewöhnt hat, zwischen den Pflastersteinen zu grasen, sich das Pferd durch ein Pulsieren der Eisengeräte in ihm entschlossen hat, sich endlich zähmen zu lassen. Zuerst wieherte es ruhig, dann plötzlich angespannt, die Zinnohren standen hoch, um zu hören.
Wie ist es, die Zähmung zu erleben? Sicherlich gibt es keine Bedienungsanleitung für den Zusammenbau eines Riesenpferdes, das im Sonnenschein des Domplatzes geteert ist. Zwei mit Anmut beladene Einheiten können sich nicht von der gleichen Höhe messen. Eine muss einen Schritt zurücktreten und zuhören. Die Zähmung, kann ich sagen, ist ziemlich vergänglich, denn nichts kann nur unter dem Etikett gezähmt sein existieren. Es ist nur eine Phase. Ein Gehorchen. Bis zuletzt kann es auch Kunst sein, denn in der Reitchoreografie wird es auch angeboten – Verständnis und Erkenntnis, und diese, sobald empfangen, werden im Inneren des anderen zur Kunst.
Equus, der Gott, der von Peter Shaffer im gleichnamigen Stück dramatisiert wurde, fällt mir sofort ein. Auch wenn die Umstände dieser beiden Vorstellung völlig unterschiedlich sind, haben sie einen gemeinsamen Aspekt. In Equus ist ein Charakter das Konzept der Anbetung. In Reiten ist wohl die Zähmung nicht auch eine Form der Anbetung?
Das mechanische Pferd sieht aus wie eine von Da Vincis Skizzen. Die Menschen unter der Kruppe vermitteln ihm durch einfaches Ziehen am Seil oder durch eine Rhythmusänderung im Trab ein scheinbares Leben. Schau, das Metall rasselt auf dem Metall und siehe das Leben, wie ein Golem der Tiergattung. Zwei möglich Gezähmte und gleichzeitig Zähmende. Der Tänzer versucht, gibt auf, beginnt erneut, und im Blickfeld des Pferdes, zumindest für einen Moment, versucht er, ihn zum Gehorchen zu bringen, furchtlos, ungezähmt.
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„Theaterchronik @ Eurothalia“ ist ein von Daniela Șilindean gemeinsam mit dem Team des Deutschen Staatstheaters Temeswar konzipiertes Programm im Rahmen des Europäischen Theaterfestivals Eurothalia 2023, das vom 20. bis 30. September 2023 stattgefunden hat und durch das Nationale Kulturprogramm Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023 gefördert wurde.